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Politikberatung Dr. Wolfgang Klages

Volltreffer

Politische Themen auf den Punkt gebracht. Analytisch und prognostisch


21. Februar 2023


Von der Illusion zur Kollision: Der Russland-Schock

von Wolfgang Klages



Von der Illusion zur Kollision: Der Russland-Schock

Wieder einmal: Europa im Konflikt mit Russland

Nachdem am frühen Morgen des 24. Februar 2022 auf Befehl von Russlands Präsident Putin reguläre russische Truppen die Grenzen der benachbarten Ukraine im Norden, Osten und Süden überschritten hatten, rollte eine öffentliche Empörungswelle über Europa und die USA hinweg. Sie ist bis heute nicht verebbt. Was außerhalb des sogenannten Westens eher unparteiisch als Regionalkonflikt wahrgenommen wird, hat die transatlantische Gemeinschaft aufgebracht und lässt sie knapp unterhalb der Schwelle des Kriegseintritts entschieden gegen Russland Front machen: mit scharfen Worten und schweren Waffen für die Ukraine. Angriffskrieg, Überfall, Völkerrechts- und Zivilisationsbruch, Aggressor, Killer aus dem Kreml, Anschlag auf die freie Welt, Zerstörung der europäischen Sicherheitsordnung – so lauten die Leitbegriffe, die Politik und Medien in Deutschland nahezu einstimmig der Öffentlichkeit seit Kriegsausbruch einhämmern. Mit entschiedener Parteinahme für das vermeintlich unschuldige Opfer, die Ukraine.

Hochtrabend meint man sich plötzlich sogar in einer „Zeitenwende“ zu befinden. Als ob eine solche Veränderung nicht schon viel länger im Gang ist, in ihren Ursachen, Facetten und lange offenen politischen Konsequenzen aber fahrlässig unterbelichtet blieb. Dass die deutsche Außenministerin bekundete, „wir“ seien durch das russische Vorgehen über Nacht „in einer anderen Welt aufgewacht“, drückt ein emotionales Erschrecken aus. Mehr Wirklichkeitssinn und ein Horizont für die europäische Geschichte der letzten zwei Jahrhunderte hätten die grüne Anfängerin im Auswärtigen Amt weniger aus den Wolken fallen lassen. Aus drei Gründen.
Spätestens seitdem Russland mit dem Wiener Kongress von 1815 als fünfte Großmacht neben Großbritannien, Frankreich, Preußen und Österreich in das „europäische Konzert der Mächte“ eintrat, hat es dem Kontinent wiederholt die Ruhe genommen. Mit Absichten, Interessen und Eigenheiten, die Europa von Osten her bedrängten, bedrückten und in Kriege verwickelten. In puncto Einflussnahme, Machtpolitik, ja Vorherrschaftsstreben standen die anderen Mächte Russland nicht nach. Weder die Habsburgermonarchie und Preußen-Deutschland bis zum ihrem Untergang 1918 bzw. 1945 noch das Vereinigte Königreich und Frankreich bis zu ihrem Bedeutungsverlust durch die US-Präsenz in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg.

Indessen hat Russland trotz des Zusammenbruchs der Sowjetunion als einzige der ehedem fünf europäischen Großmächte mehr oder minder imperial bis in das 21. Jahrhundert hinein überlebt. Mit einer wenig, höchstens in Schwächephasen zurückgenommenen Anlage seiner Außenpolitik, weit vor den eigenen Grenzen von Petersburg bis Sotschi Kontrolle ausüben zu wollen. Wenn man die europäischen Erfahrungen mit Russland über die letzten 200 Jahre zum Maßstab nimmt und nicht die kurze, gerade einmal zehnjährige postsowjetische Ausnahmesituation vom Mauerfall bis zum Beginn der Putin-Präsidentschaft, wird man über den russischen Zugriff auf die Ukraine weniger überrascht sein.

Schon für den Wiener Kongress hatte der russische Zar Alexander I. sein Vorhaben entwickelt, das bislang geteilte Polen als Königreich unter der Schirmherrschaft Russlands wiederherzustellen. Für seine polnischen Gebietsverluste sollte Preußen mit Sachsen entschädigt werden, das russische Truppen nach der Niederlage Napoleons besetzt hielten. Großbritannien und Österreich widersetzten sich energisch. Zur Vereitelung der russischen Machtausdehnung nach Westen waren sie sich nicht zu schade, selbst den gerade besiegten Kriegsgegner Frankreich mit seinem geschickten Verhandlungsführer Talleyrand an die Seite zu holen. Der Zar musste zurückziehen.

Das hinderte seinen Bruder Nikolaus I. knapp vierzig Jahre später nicht daran, mit dem Krimkrieg abermals die Westmächte Frankreich und Großbritannien herauszufordern. Dieses Mal ging es dem Zaren darum, den russischen Herrschaftsanspruch zum Mittelmeer hin und auf den Balkan auszudehnen. Das Siechtum des Osmanischen Reiches ausnutzend, wollte Russland seine Hand auf die Meerengen des Bosporus und der Dardanellen legen. Das Expansionsstreben rief London und Paris auf den Plan, die ihre eigene Stellung und das europäische Gleichgewicht gefährdet sahen.

Nachdem russische Truppen im Juni 1853 in Moldau und Walachei einmarschiert waren, die Schwarzmeerflotte im November außerdem vor der nordtürkischen Hafenstadt Sinope ankernde Schiffe des osmanischen Vizeadmirals vernichtet hatte, setzten Frankreich und Großbritannien ihre Flotten in Marsch. Ende März 1854 erklärten die beiden Mächte Russland offiziell den Krieg. Unter hohen Verlusten im ersten Material- und Abnutzungskrieg der Geschichte gelang es, das russische Expansionsstreben zu stoppen. Im Frieden von Paris (1856) musste Russland der Statussicherung des Osmanischen Reiches zustimmen und eroberte Gebiete wieder abtreten.

Die Niederlage im Krimkrieg hat das Zarenreich nie verwunden. Alle russischen Regierungen bis zum Ersten Weltkrieg antworteten darauf mit wirtschaftlicher Modernisierung, Rüstungsanstrengungen und provozierenden Großmachtallüren. Der konfliktträchtige Geltungsdrang gipfelte in der Julikrise von 1914. Dass Russland als Wortführer des Panslawismus kriegsbereiten Druck auf Österreich-Ungarn ausübte, sich des französischen Bündnispartners gegen Deutschland gewiss sein konnte, abermals begehrliche Blicke auf die türkischen Meerengen warf und mit der Teilmobilmachung eine friedliche Beilegung der Krise torpedierte, ist gesicherter Stand der Ursachenforschung zum Ersten Weltkrieg.

Dabei Schiffbruch erlitten zu haben, ließ das nachrevolutionäre Russland nicht mit der zaristischen Tradition brechen. Auch das bolschewistische Regime ging sehr bald dazu über, das geopolitische Vorfeld wieder unter russische Fittiche zu bekommen. Gerade weil der demütigende Vertrag von Brest-Litowsk im März 1918 mit dem Deutschen Reich vor allem dem taktischen Zweck gedient hatte, Kräfte für die Revolution im Innern zu sammeln. Hingegen die konzedierte Unabhängigkeit Finnlands, Polens, des Baltikums und sogar der Ukraine, überdies eine deutsche Frontlinie von der Narwa, den Don entlang bis zur Krim, den Bolschewiki schmerhaft vor Augen geführt hatten, wie verwundbar ihre kommunistische Diktatur von außen her war. Schon 1919 kassierte die Rote Armee die Eigenstaatlichkeit der Ukraine wieder ein.

Sehr gelegen kamen der Sowjetunion drei Abkommen mit dem Deutschen Reich bis 1939: der Rapallo-Vertrag, der die Wirtschaftsbeziehungen der beiden Länder wieder in Gang setzte und eine militärische Zusammenarbeit verhüllte; der wenig beachtete, aber politisch nicht zu unterschätzende Berliner Vertrag von 1926, der eine Neutralitätszusage der Weimarer Republik für einen Drittstaatenkrieg der Sowjetunion (Polen!) enthielt und schließlich der Hitler-Stalin-Pakt vom August 1939. Mit dem „Nichtangriffsvertrag“ sicherte sich die UdSSR schon vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs eine osteuropäische Beute, die sie 1945 nicht wieder hergab, ja auf beispiellose Weise nach der Kapitulation des nationalsozialistischen Deutschland noch ausweitete.

Die Potsdamer Konferenz der Siegermächte USA, Großbritannien und Sowjetunion segnete gegen den anfänglichen Widerstand des überforderten US-Präsidenten Truman und des unheilwitternden britischen Premiers Churchill im August 1945 ein sowjetisches Glacis gewaltiger Expansion ab. Neben der Einverleibung Ostpolens, der baltischen Staaten und des nördlichen Ostpreußen mit dem eisfreien Hafen Königberg standen für die Sowjetunion von nun an für vier Jahrzehnte die osteuropäischen Satellitenstaaten des späteren Warschauer Paktes von der Ostsee bis zur Balkanhalbinsel Gewehr bei Fuß. Einschließlich eines abgeriegelten, abgetrennten und unterdrückten deutschen Teilstaats zwischen Oder und Elbe.

Sich davon in den 1990er Jahren beinahe vollständig verabschieden zu müssen, geschah weniger aus Einsicht, denn aus Schwäche. Insofern war die Erwartung, das postsowjetische Russland werde und müsse in radikaler Abkehr von seiner bisherigen Geschichte aller Ambitionen auf eine Einflusssphäre in Osteuropa im 21. Jahrhundert entsagen, von vornherein wirklichkeitsfremd.

Zweitens und auch unabhängig von dem Russland-Problem ist mit Blick auf die europäischen Staatenkonflikte der letzten 500 Jahre und einer bis heute nicht nachhaltig stabilen Friedensordnung für Europa eines kaum zu erwarten: dass der Kontinent in den nächsten 100 Jahren seine äußeren Sicherheitsprobleme durchgreifend und dauerhaft überwindet. Ebenso sind Grenzen in Europa immer verschoben worden. Die jetzigen für in Stein gemeißelt zu erklären, mag politisch opportun sein, zeugt aber umso weniger von Realismus und Ehrlichkeit. Hat die letzte große Revision der europäischen Grenzverläufe nicht vor gerade einmal dreißig Jahren mit dem Kollaps der Sowjetunion stattgefunden? Im Übrigen in Umkehrung dessen, was Stalin als sowjetisches Imperium bis zur Elbe vier Jahrzehnte zuvor ausgerechnet von den westlichen Siegermächten zugeschlagen worden war.

Zudem hat zwar die wohlwollende, von wechselseitigen Vorteilen geprägte Schutzherrschaft der USA die Staaten West-und Mitteleuropa einstweilen untereinander befriedet, für die ost- nord- und südosteuropäischen Randzonen gilt dies aber nicht. Ob die USA als Mäzen und Großmeister der transatlantischen Allianz überhaupt ein friedlicher Segen für ganz Europa sind, lässt sich durchaus in Zweifel ziehen. Wenn man Friedenserhalt und Konfliktvermeidung höher wertet als Bündnispflege. Jedenfalls ist der Ukraine-Krieg zuerst und zuletzt auch ein Konflikt Russlands mit der Europapolitik der USA.

Zu keinem Zeitpunkt seit Ende des Kalten Krieges haben die verschiedenen US-Regierungen je erwogen, Russland gleichberechtigt in eine europäisch-atlantische Sicherheitsordnung einzubeziehen. Denn jede entscheidende Mitsprache Moskaus in Fragen der Sicherheit und Verteidigung Europas hätte der NATO ihre exklusive Bedeutung genommen, die militärisch herausragende Stellung der USA auf dem Kontinent unterlaufen, ja die transatlantische Allianz ausgehebelt. An dem Bestand des Westblocks, ja der Aussicht auf seine Ausdehnung sollte nach der Auflösung des Ostblocks keinesfalls gerüttelt werden. Kein US-Präsident, nicht einmal Trump, hat sich je gewillt gezeigt, die atlantische Gegenküste sich selbst, schon gar nicht einer Verständigung mit Russland zu überlassen.

Die europäischen NATO-Mitglieder einschließlich des egozentrischen Frankreich wollten die sicherheitspolitische Vormundschaft der USA auch nicht loswerden. Die europäischen Altmitglieder waren seit 1949 jeder Eigenverantwortlichkeit viel zu sehr entwöhnt worden, als dass sie nach 1991 genügend Mut und Weitblick aufgebracht hätten, ihre Sicherheit unter Einbeziehung Russlands selbstverantwortlich zu organisieren. Und den osteuropäischen Neumitgliedern winkte zunächst einmal Schutz und Trutz der NATO zum Nulltarif. Der eigentliche Preis, im verteidigungspolitischen Schlepptau Washingtons zu verbleiben, ist für Europa inzwischen explodiert.

Russland hat mit friedlichen Konfliktregeln gebrochen, fällt als Rohstofflieferant aus und stellt für Osteuropa auf unabsehbare Zeit wieder eine Bedrohung dar. Nach zwei misslungenen Anläufen im 20. Jahrhundert ˗ 1919 und 1945 – scheint es auch im 21. Jahrhundert nicht zu gelingen, Europa unter maßgeblicher Regie der USA zu befrieden. Zum dritten Mal in hundert Jahren. Wie auch? Die Vereinigten Staaten sind eine Weltmacht und verfahren auch so. Sie dulden keine Nebenbuhler, sondern setzen auf Hegemonie, Abhängigkeit, Vorposten und Hilfssheriffs. Wer sich Washington und seinen Interessen in den Weg stellt, ist Gegner, Feind, outlaw.
Gleichgewichtsvorstellungen wie sie die europäische Staatenwelt vom Mittelalter bis an die Schwelle des Ersten Weltkriegs kennzeichneten und Friedensphasen das Gesicht gaben, sind dem vorherrschenden politischen Weltbild jenseits des Atlantiks fremd. Global sieht das nicht anders aus. China und Russland verdienen aus amerikanischer Perspektive keinen respektvollen Umgang, sondern werden seit Jahren in der Nationalen Sicherheitsstrategie der USA als Gegner des Weltenlenkers ausgemacht. Beide gilt es niederzuhalten.

Acht Wochen vor dem Einfall in die Ukraine hatte die russische Führung den USA im Dezember 2021 zwei Vertragsentwürfe für europäische Sicherheitsabkommen übermittelt. Danach sollte die NATO ihre Außengrenzen auf den Stand von 1997, d.h. vor den Osterweiterungen, zurücknehmen, keine neuen Mitglieder mehr aufnehmen und ebenso wie Russland keine Kurz- und Mittelstreckenraketen in territorialer Reichweite der Vertragspartner stationieren. Realistischer als jede Aussicht auf Verwirklichung war Moskaus Annahme, mit Washington direkt über Europa verhandeln zu können. Natürlich zog sich Russland umgehend den Vorwurf zu, auf dem Kontinent eine russische und amerikanische Einflusszone mit dem neutralen Puffer Ostmitteleuropa errichten zu wollen.

Doch ist die russische Sicht so abwegig, die NATO als Instrument US-amerikanischer Verteidigungspolitik in Europa zu betrachten? Wann und in welcher Form haben die europäischen Allianzmitglieder nach dem Kalten Krieg je für ihren Kontinent sicherheitspolitische Eigenständigkeit gezeigt oder entwickelt? Der vorherrschende Akteur im Bündnis sind politisch, militärisch und strategisch die USA. „burden-sharing“ in der Allianz hat nie etwas anderes gemeint, als Kosten umzuverteilen, ohne Washington als primus inter pares je in Zweifel zu ziehen.

So wenig die USA den europäischen NATO-Mitgliedern freie Hand lassen, so gering ist deren Bereitschaft andere sicherheitspolitische Wege zu gehen, als ihnen ihr nordamerikanischer Schutzpatron vorzeichnet. Moskau hat das unverstellter im Blick als man in Westeuropa einräumen will. Die Schieflage in der NATO ist so verfestigt und das Machtgefälle dermaßen ausgeprägt, dass nicht einmal eine offenkundige Situation enorm gestiegener Risiken die Europäer wachrüttelt.

Von allen Schäden, Kosten und Gefahren, die sich die Europäer als Waffen- und Sanktionsgefährten Washingtons im Ukraine-Krieg zu ziehen, bleiben die USA verschont. Im Gegenteil. Die Waffenlieferungen sind ein willkommenes Konjunkturprogramm für die US-Rüstungsindustrie. Und der teure LNG-Import nach Europa wird erheblich dazu beitragen, das chronische Leistungsbilanzdefizit zu verringern. Gerade der ungeliebten deutschen Exportindustrie drohen künftig empfindliche Kostennachteile gegenüber der US-Konkurrenz.

Indes zeigt man über den Fehler, transatlantische Allianzpolitik für europäische Sicherheitspolitik gehalten zu haben, unter den Verantwortlichen bislang wenig Reue. Dabei ist die Mitschuld des Westens an der Eskalation des russisch-ukrainischen Konflikts zum offenen Krieg nicht von der Hand zu weisen. Denn - dritter Punkt - der Kreml hat es an Angeboten, Standpunkten, Maßnahmen und Warnungen seit zwanzig Jahren nicht fehlen lassen, Gehör und Akzeptanz für die Bedürfnisse Russlands zu finden. Ohne nachhaltigen Erfolg. Vielmehr gingen die Adressaten in NATO und EU darüber nicht selten so hochmütig wie ungerührt hinweg oder lehnten brüsk ab. Im Falle Deutschlands mit der kurzzeitigen Ausnahme von Nord Stream I und II. Bevor die Fremdbestimmung der deutschen Außenpolitik - als Partnerschaft und Solidarität bemäntelt - wieder die Oberhand gewann.

Anstatt die eigenen Möglichkeiten sachlicher Beziehungen mit Russland offen zu halten, wurden die versorgungssicheren Gaspipelines selbstausbeuterisch der moralischen Parteinahme für die Ukraine, der polnischen Russlandfeindlichkeit und dem US-amerikanischen Flüssiggasanbieter geopfert. Hier wie zuvor in vielerlei anderer Hinsicht Russland vor den Kopf gestoßen oder ihm die kalte Schulter gezeigt zu haben, ließ den russischen Präsidenten lange vor dem Überfall auf die Ukraine von Verständigungs- und Friedensbereitschaft auf Konfrontation und militärische Machtpolitik umschwenken.

Die ernüchternden Erfahrungen seiner Vorgänger stimmten von vornherein wenig hoffnungsvoll, je mit den Trägern der NATO-Politik in Osteuropa und darüber hinaus zu einem Ausgleich zu kommen. Der Sowjetunion bzw. Russland einen Platz in dem „Europäischen Haus“ einzuräumen, das Michail Gorbatschow vorschwebte und der seinem Land nach dem freiwilligen Rückzug auf die eigenen Grenzen auch gebührt hätte, kam dem Westen nie in den Sinn. Nicht einmal der zahme, umgängliche und vertragstreue Boris Jelzin konnte die NATO 1997 zu mehr als einer Grundakte erweichen. Für die Billigung einer letztlich unbegrenzten  Osterweiterung des Bündnisses wurde Russland mit der unverbindlichen Zusage abgespeist, sich in Sicherheitsfragen künftig gegenseitig zu konsultieren. Formal existiert dieser NATO-Russland-Rat bis heute, ist allerdings durch beiderseitiges Verschulden praktisch tot.

Ohne jede Rücksicht auf Russland visierte die Allianz nach 1997 sogleich die zweite, noch größere Erweiterungsrunde von 2004 an: Bulgarien, Rumänien, die Slowakei, Slowenien und alle baltischen Staaten umfassend. Im Grunde bereitete sie damit der Präsidialherrschaft Putins das Feld. Der ließ nach seinem ersten Amtsantritt im Jahr 2000 nie einen Zweifel daran, Russland aus seiner Schwäche herauszuführen. Immerhin für fast eineinhalb Jahrzehnte mit der Bereitschaft zu friedlicher Zusammenarbeit. Allerdings auf Augenhöhe.

Putin war einer der Ersten, der nach dem 11. September 2001 US-Präsident Bush Unterstützung bei der Terrorabwehr anbot. Ohne Resonanz. Gleichwohl ließ es sich der russische Präsident gefallen, dass die USA eigenmächtig in Afghanistan vorgingen, den ABM-Vertrag zur Begrenzung von Raketenabwehrsystemen kündigten, um ein Raketenschild in Osteuropa einzurichten, und die Ukraine ab 2008 rasch in die NATO aufnehmen wollten. Dagegen drang Putin mit eigenen Vorschlägen, wie dem Abbau von Handelshemmnissen mit den USA (2009) oder der Idee einer Freihandelszone mit der EU (2010) nie durch.

Stattdessen musste sich Russland von 2005 an immer wieder der Erpressungsversuche oligarchischer Regime in der Ukraine hinsichtlich des Gastransits nach Europa erwehren. Die Weigerung Kiews, Marktpreise für aus Russland bezogenes Gas zu bezahlen und Schulden zu begleichen, führte zu Lieferausfällen. Einerseits sah sich der russische Staatskonzern Gazprom gezwungen, die Einspeisung auf den Bedarf der EU-Länder zu verringern, andererseits entnahm die Ukraine unbezahltes Gas für den Eigenbedarf und blockierte Leitungen. Die vorläufige Streitbeilegung von 2009 versprach keine Dauer. Jeder Regierungswechsel in der Ukraine mit antirussischer Stoßrichtung würde den Gastransit erneut bedrohen.

Der vernünftige Ausweg, Pipelinestränge durch die Ostsee vom russischen Wyborg bis zum deutschen Lubmin zu verlegen, war das Projekt Nord Stream I (2011) und Nord Stream II (2021). Scharf verurteilt in Osteuropa und den USA. Als vermeintliche Auslieferung Europas an Russland. Weit eher kaschierten die Einwände das überkommene Trauma Polens, von Deutschland und Russland eingerahmt zu werden, sowie die Sorge der USA, für teuer gewonnenes Fracking-Gas keine europäischen Abnehmer zu finden. Inzwischen hat die US-Falle für die EU-Länder zugeschnappt. Ihre Abhängigkeit von Washington ist nunmehr eine doppelte. Neben ihrer militärischen Sicherheit werden die Europäer künftig auch bei der Energieversorgung in hohem Maße auf die USA angewiesen sein. Und der Preis für beides wird jenseits des Atlantiks bestimmt.

Gegenüber den vielfältigen Zumutungen aus der Ukraine zog der russische Präsident erst 2014, im Angesicht des drohenden Verlusts von Sebastopol als Stützpunkt der Schwarzmeerflotte und der ukrainisch-amerikanischen Absicht, dort US-Schlachtschiffe zu stationieren, die Reißleine. Kiew hatte gegen den mächtigen Nachbarn mit unerfüllbaren Pachtforderungen endgültig zu hoch gepokert und verlor 2014 die Krim. Eingedenk der Lebensinteressen und des Prestiges einer Großmacht verständlich, für die Übermoralisierung des russisch-ukrainischen Konflikts im Westen, für die Selbstgerechtigkeit der Allianz und die Eigeninteressen etlicher NATO-Staaten aber der geeignete Anlass, das seit geraumer Zeit nicht mehr willfährige Russland weitgehend auszugrenzen. Das immer dünnere Band mit dem Westen hing jetzt nur noch an dem Faden der deutsch-französischen Vermittlungsversuche im Ostukrainekonflikt.

Es musste so kommen, weil …

Die trübe Geschichte der Minsker Abkommen vom September 2014 und Februar 2015 lässt sich vorerst nicht vollständig aufklären. Dafür fehlt der Zugang zu den Verhandlungsprotokollen, die von den Beteiligten unter Verschluss gehalten werden. Aber auch ohne diese wichtige Quellengrundlage lässt sich hinreichend erklären, warum die Abmachungen für zwei Waffenstillstände im Donbas-Gebiet scheiterten, ja scheitern mussten.

Der deutschen Bundeskanzlerin und dem französischen Staatspräsidenten Hollande ging es als Vermittlungsduo vor allem darum, die Dimension des Konflikts für die Sicherheit in ganz Europa zu entschärfen, ihn zu lokalisieren und mit vorläufigen Lösungen zu beruhigen. Wohlwissend, andernfalls auf einen völligen Bruch zwischen Russland und dem Westen zuzusteuern. Mit schwerwiegenden, unübersehbaren Folgen. An eben dieser Deeskalation war den beiden Kontrahenten Russland und der Ukraine nicht gelegen. Höchstens kurzzeitig, um mittel- und langfristig zu größeren Schlägen ausholen zu können.

Außer Frage steht die Verzögerungstaktik beider Seiten, mit der Waffenruhe Zeit für die Verbesserung der eigenen Position zu gewinnen. Politisch und erst recht militärisch. Nach dem Einsatz im syrischen Bürgerkrieg musste Moskau seine militärischen Kapazitäten erst einmal sortieren und neu zusammenfassen, um für einen größeren Waffengang in dem Nachbarland gerüstet zu sein. Ihrerseits war die Ukraine darauf bedacht, die Schlagkraft ihrer Armee mit westlichen Waffenlieferungen massiv zu erhöhen. Eine Atempause in den bewaffneten Auseinandersetzungen mit Aufständischen und russischen Milizen in den vor der Abspaltung stehenden Republiken Donezk und Luhansk war dafür dringend erforderlich.

Minsk I und II waren insofern nur Durchgangsstationen für die große Auseinandersetzung. Und in der prallen die Standpunkte der beiden Konfliktparteien unvereinbar aufeinander. Für den russischen Präsidenten waren die Verhandlungen im belarussischen Minsk vom September 2014 und Februar 2015 eine Nagelprobe. Dafür, wie weit die beiden NATO-Staaten Deutschland und Frankreich die Ukraine zu Zugeständnissen an Russland veranlassen, mithin Moskau entgegenkommen. Dazu demonstrierte Putin seine Entschlossenheit, es ernst zu meinen und sich mit weniger als der Autonomie der abtrünnigen Republiken unter russischem Schutz kaum zufrieden zu geben. Dabei dürften Merkel und Hollande eines klar geworden sein: Putin lotete aus, inwieweit der Westen dulden und nachgeben würde, wenn Moskau dazu schritte, die Abtrennung der Teilrepubliken und der Krim lediglich als pars pro toto dafür zu betrachten, die gesamte Ukraine als Pufferzone zu neutralisieren. Notfalls mit Gewalt.

Der damalige ukrainische Präsident Poroschenko zielte auf das genaue, unvermittelbare Gegenteil: Rückzug Russlands aus dem Donezbecken, Rückgewinnung der Krim, NATO- und EU-Mitgliedschaft der Ukraine mit uneingeschränkter Beistandsgarantie so bald wie möglich. An diesen Maximalforderungen haben auch alle nachfolgenden Regierungen Kiews festgehalten. In Minsk hielten Deutschland und Frankreich dazu noch Abstand, wollten sich nicht vollständig in die Opferrolle der Ukraine einwickeln lassen. Mit dem berechtigten Unbehagen, was ansonsten als Totalschaden der europäischen Beziehungen zu Russland eintreten würde.

Zumindest ließ sich der Ukraine die Bereitschaft abringen, Abstimmungen für mehr Unabhängigkeit in den beiden Republiken mit überwiegend russischstämmiger Bevölkerung abzuhalten. Allerdings so unverbindlich, dass Russland die vereinbarte Waffenruhe nicht konsequent umsetzte bzw. gegen Verstöße nicht einschritt. Danach verkeilten sich die abgrundtief misstrauischen Gegner um ein Prinzip. Russland war nicht bereit, die Aufständischen vor Urnengängen zu entwaffnen, Kiew erklärte das Niederlegen der Waffen zur Voraussetzung, Wahlen über mehr Autonomierechte abzuhalten. Um Minsk zu retten, hätte in dieser Situation sowohl an Kiew wie Putin die unmissverständliche Warnung ausgehen müssen, ohne Bewegung in der Sache harte Konsequenzen befürchten zu müssen. Damit waren Paris und Berlin überfordert. Zumal die Rückendeckung der USA fehlte.

Auf dem Weg von der Vermittlerrolle zur Konfliktpartei an der Seite der Ukraine haben Frankreich und Deutschland, letztlich der Westen wertvolle Zeit verloren. Für eine Zügelung der Ukraine und entspannungspolitische Signale an den Kreml. Zugegebenermaßen unter der Bedingung eines extrem beschränkten Handlungsspielraumes, seitdem in der öffentlichen Diskussion die Schwarz-Weiß-Rollen eindeutig verteilt sind. Auf das am Pranger der westlichen Medien stehende Russland seitens europäischer NATO-Staaten real- und sicherheitspolitisch ausgleichend einzugehen, wäre und wird als Appeasement-Politik  abgekanzelt. So schief der historische Vergleich mit dem Münchener Abkommen von 1938 auch ist.

Ohne Einbeziehung des im Ganzen unbesiegbaren, unbezwingbaren und uneinnehmbaren Russland wird es in Europa nie einen stabilen Frieden geben. Jede Konfrontation mit der größten Landmacht der Welt kann die Tatsache seiner geopolitischen Weite nicht überwinden. Und die seines Nuklearstatus. Jeder russische Präsident ist sich dieser Stärken seines Landes bewusst. Auch im Ringen mit vordergründig übermächtigen Gegnern, die sich ohne Weitblick mittlerweile zum Verbündeten eines Staates gemacht haben, dessen Führung sich eigensüchtig gegen das Schicksal russischer Nachbarschaft auflehnt.

Auf der Potsdamer Konferenz, die das Schicksal des geschlagenen Deutschlands und der sowjetisch besetzten Länder Osteuropas für die nächsten 45 Jahre bestimmte, beschied Stalin dem US-Präsidenten Truman und dem britischen Premier Churchill kurzerhand über die strittige Westverschiebung Polens: „Wir können die Frage regeln oder ignorieren.“ Damit stellte der sowjetische Diktator die Westmächte vor die Wahl, die Oder-Neiße-Linie als Westgrenze Polens und die Vertreibung aller Deutschen östlich davon offiziell zu bestätigen oder den fait accompli hinzunehmen. Und der bestand darin, dass die Rote Armee Ostmitteleuropa bis zur Elbe besetzt hielt. Mit - wie sich abzeichnete - moskautreuen Vasallenregierungen. Für Stalin lief es in dem einen oder anderen Fall auf dasselbe Ergebnis hinaus: Die Sowjetunion beherrschte ein geopolitisches Vorfeld bis nach Mitteleuropa hinein.

Der Unwille Churchills, Stalin eine solche Landmasse zuzuschlagen und die Deutschen in vier Besatzungszonen zusammen zu drängen, blieb schon deshalb wirkungslos, weil die Präsenz der Roten Armee nicht mehr von der Landkarte zu tilgen war. Die Worte Stalins hätten auch aus dem Munde Wladimir Putins stammen können. Vor dem Angriff auf die Ukraine. In Richtung Kiew und NATO. Die Frage der Sicherheitsansprüche Russlands ließ sich regeln oder ignorieren. „Regeln“ hätte bedeutet, die Ukraine in die Schranken russischer Kontrollbedürfnisse zu weisen. „Ignorieren“ hatte zur Folge, dass Russland sich mit Gewalt nehmen will, was ihm in Verhandlungen verwehrt wird.

Der Manövrierraum der Ukraine und ihrer westlichen Unterstützer geht gegen diese Machtpolitik Moskaus gegen null. Wenn man denn nicht in den dritten Weltkrieg eintreten will. Die Republiken Donezk und Lugansk, die Oblaste Cherson und Saporischschja sowie die Krim sind für die Ukraine verloren. Was Russland darüber hinaus im Nord- und Südosten an Geländegewinnen erzielt, wird es als Faustpfand für jeden Verhandlungsfrieden einsetzen. Einen sicherheitspolitischen Raumbedarf wollten die Ukraine und der Westen, allen voran die selbst geopolitisch operierenden USA, Russland nie zubilligen. Jetzt werden sie mit der Entschlossenheit Moskaus konfrontiert, die offene Flanke nach Westen mit militärischen Mitteln zu schließen.

Raum- versus Moralpolitik

Die russische Invasion in die Ukraine stößt in Osteuropa und der westlichen Welt auf einhellige Ablehnung. Verständnis, gar Billigung der in der Wortwahl des Kreml „militärischen Spezialoperation“ ist zwischen Warschau und Washington nirgends bis auf kaum vernehmbare Randstimmen auszumachen. Selbstredend weisen die NATO-Staaten auch alle Schuld von sich, Russlands Wahrnehmung einer Drohkulisse geschürt und auf den Kriegspfad gebracht zu haben. Nach dem überwältigenden Meinungsbild in Politik, Medien und Wissenschaft geriert sich Präsident Putin als skrupelloser Kriegsherr, der das Rad der Geschichte zurückdrehen und Russland als imperialistische Macht in der Erbfolge der Sowjetunion und des Zarenreiches etablieren will.

Mit dieser Sichtweise ist der Westen gegenüber Russland bis auf weiteres nicht politik-, d.h. verständigungsfähig. Denn Moskau müsste hinsichtlich der Ukraine in allen Belangen nachgeben, weil Kiew und seine westlichen Verbündeten meinen, in allem Recht zu haben: völkerrechtlich, menschenrechtlich, vertragsrechtlich und als Wertegemeinschaft. Die messianisch eingefärbte Selbstgewissheit des Westens unterschlägt dabei zweierlei: erstens, dass sich die Welt mindestens zur Hälfte nicht nach seinem Bild formen lässt. Und zweitens, wie sehr die transatlantische Staatengruppe doppelte Standards in der internationalen Politik vorwalten lässt.

Auf der Grundlage universal gültiger Menschenrechte und Normen des staatlichen Zusammenlebens global Frieden, Freiheit, Wohlstand und Demokratie mit den USA als weithin akzeptierter Weltmacht verwirklichen zu können, mag nach dem Zusammenbruch des Ostblocks kurzzeitig eine verführerische Annahme gewesen sein. Inzwischen hat sich das ebenso vorschnell wie eitel ausgerufene „Ende der Geschichte“ als ein neuer Anfang entpuppt. Hin zur Multipolarität mit drei Erdteilen, die sich westlichen Wunschvorstellungen entziehen oder ihnen Paroli bieten: Asien, Afrika, Südamerika. Für sein Tun und Lassen in einer multipolaren Welt hat der Westen bis heute kein tragfähiges Konzept entwickelt.

Wie wollen Nordamerika und die europäische Halbinsel auf Dauer mit jenen Teilen der Welt umgehen, die den moralischen Geboten einer säkularen, liberal-individualistischen, antinationalistischen, multikulturellen und demokratischen Anschauung – eingefasst in transatlantische Interessen – nicht gehorchen? Friedlos, im ewigen Konflikt, mit Rückschlägen und kleinen Geländegewinnen, ohne realistische Aussicht, dem eigenen Willen und den eigenen Vorstellungen je planetarische Geltung zu verschaffen?

Keine Regierung in Lateinamerika ist bereit, der Ukraine gleich den USA und Europa militärisch unter die Arme zu greifen. Den Wunsch des deutschen Bundeskanzlers, Munition für Leopard-Panzer bereitzustellen, die gegen Russland kämpfen sollen, wies der brasilianische Präsident Lula im Februar 2023 entschieden zurück. Stattdessen belehrte er Scholz darüber, dass zu einem Konflikt immer zwei gehören, die Ursachen des Krieges mehr Beachtung verdienen und die Rolle der NATO zu hinterfragen sei.

China und die meisten arabischen Staaten folgen dem Menschenrechtsverständnis des Westens nicht. Der Iran, Saudi-Arabien und China haben regionale Sicherheitsinteressen, die sie – wenn es sein muss – auch mit militärischen Mitteln wahrnehmen. Derzeit fällt die Selbstgefälligkeit, mit der die NATO- und EU-Staaten um sich selbst kreisen und ihre angebliche Strahlkraft zur Schau stellen, noch hinter den Notbehelf der friedlichen Koexistenz der Blöcke zurück, der seit den 1950er Jahren zumindest verhinderte, dass aus dem kalten ein heißer Krieg wurde.

Im Jahr 2022 hat Deutschland Sanktionen, d.h. länderbezogene Embargos gegen 26 Staaten ˗ von Armenien bis zur Zentralafrikanischen Republik ˗ verhängt. Weil der Bundesregierung die dortigen Verhältnisse im Innern, das Verhalten nach außen oder beides nicht passen. Eine Erfolgsbilanz in dem Sinne, mit Handelsverboten einen greifbaren Politik- oder Regimewechsel erreicht zu haben, konnte noch kein Sanktionsverfechter vorlegen. Wohl aber wissen sich die betroffenen Länder mit Umgehungs- und Substitutionsstrategien zu helfen, während den Volkswirtschaften der sanktionierenden Staaten erhebliche Schäden zugemutet werden. Ein Nullsummenspiel für die politische Überheblichkeit, all jene mit Ungnade zu strafen, die nicht nach der Pfeife des Westens tanzen.

Dessen Glaubwürdigkeit ist ohnehin mächtig angeschlagen. Wo das eigene Dafürhalten und die eigene Handlungsfreiheit bedroht sind, ist der Westen, an der Spitze Washington, nicht zimperlich, sich über Prinzipien hinweg zu setzen, auf deren Einhaltung andernfalls gepocht wird. Die Luftschläge der NATO gegen Serbien 1999, die US-amerikanische Invasion in den Irak 2003, der Einfall in Afghanistan 2001, das Bombardement Libyens 2011 und Syriens 2018 sind nicht minder völkerrechtswidrig gewesen als der Angriff Russlands auf die Ukraine.

Mehr noch: Was stünde eigentlich zu erwarten, wenn Mexiko ein Militärabkommen mit China schlösse, die chinesische Kriegsmarine im Golf von Mexiko kreuzte und China die mexikanischen Streitkräfte für die Sicherung der Grenze zu Texas aufrüstete? Kein US-Präsident würde einem solche Treiben tatenlos zusehen. Wie in der Kuba-Krise die Sowjetunion erhielte Peking die ultimative Aufforderung aus Washington, sich zurückzuziehen oder US-Truppen würden in Mexiko einmarschieren. An robuster Raumpolitik würden die USA im Fall der Fälle Russland in nichts nachstehen. Wie überhaupt die transatlantische Gemeinschaft in auffälliger Weise zweierlei Maß in der Frage offenbart, Sicherheit raumpolitisch zu verwirklichen.

Die Osterweiterung der NATO ist ein geopolitischer Vorgang ersten Ranges. Dass dies freiwillig unter Zustimmung aller Beteiligten geschah, ändert nichts an der Raumkomponente, d.h. über Ausdehnung militärischer Präsenz und Bündnispflicht in die Fläche ein Sicherheitsplus erreichen zu wollen. Eben das will auch Russland, wenngleich mit brutaler Methode. Für das Ergebnis der geopolitischen Kräfteverteilung ist der Weg dorthin unerheblich. Längere Friedensperioden in Europa sind immer Gleichgewichtsperioden gewesen. Das geopolitische Gleichgewicht in Europa ist im ersten Drittel des 21. Jahrhunderts völlig aus dem Lot geraten.

Ein Militärallianz von 30 Mitgliedstaaten mit den Beitrittskandidaten Schweden und Finnland, die sich von der Barentssee bis zum Schwarzen Meer erstreckt, eine Truppenstärke von 3,5 Millionen hat, militärische Infrastruktur an seiner Ostflanke konzentriert und über ein umfangreiches Atomwaffenarsenal verfügt, steht ein Russland gegenüber, das mit Belarus lediglich einen schwachen regionalen Verbündeten hat, mit 1,35 Millionen fast zwei Drittel weniger aktive Soldaten aufweist als die NATO und nach der Aufkündigung des INF-Vertrags über das Verbot landgestützter Mittelstreckenraketen durch die USA im Jahr 2019 bei gleichzeitigem Ausbau moderner amerikanischer Raketenabwehrsysteme um seine atomare Zweitschlagfähigkeit fürchtet. Im Februar 2023 setzte Präsident Putin die russische Teilnahme an New START, einem seit den 1990er Jahren wiederholt verlängerten Abkommen mit den USA zur Verringerung strategischer Atomwaffen, aus. Wer kann ihm das verdenken, nachdem die gegenseitigen, vertraglich vereinbarten Inspektionen infolge der Sanktionspolitik nicht mehr durchführbar sind?

Schon aufgrund der Größenverhältnisse wird man aus unvoreingenommener Warte Russland die Wahrnehmung zubilligen müssen, sich kaum in einer gesicherten Lage zu befinden. Gleichwohl ist es die NATO, die Russland als „größte und unmittelbarste Bedrohung für die Sicherheit der Verbündeten und für Frieden und Stabilität im euro-atlantischen Raum“ bezeichnet. So steht es in dem aktuellen strategischen Konzept, das die Staats- und Regierungschefs der Allianzmitglieder für das Militärbündnis im Juni 2022 in Madrid beschlossen. Man fragt sich unweigerlich, wer bedroht hier eigentlich wen? Russland dürfte sich durch die NATO mindestens so bedroht sehen wie diese durch einen Krieg, der abseits ihres Bündnisgebietes stattfindet und in den sie sich trotzdem mit Waffenlieferungen zuspitzend einmischt.

Der Sicherheitsgewinn, den die eifrigsten Fürsprecher der NATO-Ostererweiterungen allen Beteiligten und der Öffentlichkeit glauben machen wollten, ist in ein Sicherheitsrisiko umgeschlagen. Es war und ist schlicht zu kurz gedacht, mit der östlichen Ausdehnung des Bündnisses Gefahren für die Sicherheit der Altmitglieder an die europäische Peripherie zu verschieben und den Neumitgliedern Art. 5 des NATO-Vertrags als Lebensversicherung zu verkaufen. Ungeachtet dessen, dass Art. 5 klugerweise keine automatische militärische Beistandspflicht vorsieht, sondern die Art und Weise des Beistands in das politische Ermessen der Allianzstaaten stellt, musste jedes Heranrücken der NATO an Russland das beiderseitige Bedrohungsempfinden massiv schüren. Mit enorm gestiegenen Sicherheitsrisiken diesseits und jenseits der Bündnisgrenzen.

Weil es seitens der NATO-Staaten grundlegend falsch war, den zweiten vor dem ersten, nie angebahnten Schritt zu machen. Nämlich zunächst mit Russland eine tragfähigen Sicherheitsvertrag zu schließen und danach über Neuaufnahmen zu entscheiden. Sofern eine Ausweitung des Kreises der Allianzmitglieder dann überhaupt noch nötig und nützlich gewesen wäre. „Wer alles defendieren will“, bilanzierte Friedrich der Große seine Kriegserfahrungen in Europa, „verteidigt am Ende gar nichts.“

Warum europäische NATO-Schwergewichte wie Deutschland, Frankreich und Großbritannien die kostspielige, riskante Patenschaft mit schutzabhängigen, exzentrischen Staaten in Osteuropa wichtiger nehmen als ein auskömmliches Verhältnis zu Russland, ist sachpolitisch nicht zu erklären. Hier überwiegen andere Motive. London hat sich nach seiner Beinahe-Niederlage im Zweiten Weltkrieg und dem Niedergang des Commonwealth von einer eigenen europäischen Sicherheitspolitik verabschiedet. Es ist seitdem Washingtons zuverlässigster europäischer Verbündeter, der aus dem Kielwasser der kursbestimmenden USA nicht ausschert.

Frankreich hat sich das dagegen nie in die bloße Rolle eines Juniorpartners US-amerikanischer Sicherheitspolitik fügen wollen. Alle bisherigen Präsidenten der V. Republik waren darauf bedacht, in der Tradition de Gaulles die verteidigungspolitische Selbstbestimmung der grande nation zu wahren. Innerhalb und außerhalb der NATO. Mal mehr, mal weniger eigensinnig. Der amtierende Präsident Macron hat und würde sogar noch mehr Fühlungnahme mit seinem Amtskollegen im Kreml für eine Verhandlungslösung in der Ukraine suchen, wenn er innenpolitisch damit nicht sein Gesicht verlöre. Denn die starke, im Rassemblement National zuweilen rund 40 Prozent der Wähler versammelnde Opposition von rechts pflegt ununterbrochen gute Kontakte nach Moskau. Die Mutter der Antiestablishment-Bewegung und langjährige Vorsitzende Marine Le Pen sprach sich als französische Präsidentschaftskandidatin im Februar 2022 für eine Partnerschaft mit Russland aus.

Moskaus Übergriff auf die Ukraine hat die Führung des RN zwar überrascht, sie den Stab über Putin aber nicht brechen lassen. Würde Macron außenpolitisch auf die Linie seines stärksten innenpolitischen Widersachers einschwenken, käme ihm der politische Rückhalt aus den eigenen Reihen für seine Präsidentschaft abhanden. Während in Großbritannien also die special relationship mit den USA, in Frankreich innenpolitisches Kalkül die Frontstellung gegen Russland weitgehend erklären und berechenbar machen, schlägt in Deutschland das Pendel moralisch-ideologischer Russophobie einmal mehr am heftigsten aus.

Deutschland-Russland: Zwischen Rapallo und Rastenburg

Aus Furcht vor Russland hat sich Deutschland im 20. Jahrhundert in zwei Weltkriege gestürzt. Die ruinösen Folgen werden von deutschen Regierungspolitikern beiseitegeschoben und missachtet, wenn sie zum dritten Mal in rund 100 Jahren Russland den Krieg erklären. Jedenfalls rhetorisch, politisch, wirtschaftlich, als Ausrüster und Ausbilder der ukrainischen Armee. Mit der Wahrscheinlichkeit, eher auf der Eskalationsleiter bis zur vollumfänglichen Kriegspartei an der Seite der Ukraine zu Wasser zu Lande und in der Luft voranzuschreiten, als sich mit den Mitteln der Diplomatie um Frieden zu bemühen. Auch im 21. Jahrhundert die Angst der Deutschen vor Russland zu schüren, ist nach den traumatischen Erfahrungen der Geschichte nicht schwer. Jedoch nimmt es sich sehr befremdlich aus, wie wenig eine in anderer Hinsicht allgegenwärtige Vergangenheit die deutsche Politik über den Umgang mit Russland eines Besseren belehrt hat.

Die kreuzzugsartige Entschlossenheit, mit der deutsche Regierungsmitglieder zum militärischen Kampf für die Ukraine gegen Russland aufrufen, erinnert mitunter an die Kriegspropaganda von 1914 und 1941. Mit der bizarren Erscheinung, dass ausgerechnet Vertreter und Wähler einer aus der Friedensbewegung der 1980er Jahre hervorgegangenen Partei dem Einsatz deutscher Waffen keine Grenze ziehen wollen. Oder kommt dabei der Etikettenschwindel der Grünen endlich ans Licht, seit den Tagen der Atomproteste und der Hausbesetzerszene in Teilen schon immer eine gewaltbereite Partei gewesen zu sein?

Das deutsch-russische Verhältnis hat im 20. Jahrhundert weit mehr Konfrontation als Entspannung und Pragmatismus erlebt. Über lange Phasen und mit großen Schäden. Die Schuld daran verteilt sich auf beide Seiten. Mit dem Unterschied, dass Deutschland eher für die Ursachen dieser Zerwürfnisse einstehen muss, Russland mehr Verantwortung für die Folgen auf sich geladen hat.

Die wenigen und nie dauerhaften Perioden, in denen es gelang, die deutschen Beziehungen mit Moskau zu entkrampfen, in der Weimarer Republik, mit der Entspannungspolitik der 1970er Jahre, nach der Widervereinigung, waren stets von der Einsicht getragen, gerade in wirtschaftlicher Hinsicht ausgesprochen vorteilhaft voneinander zu profitieren anstatt in ideologisch-militärischer Bedrohung und Auseinandersetzung beide Länder in Abgründe zu stürzen. Scheinbar unbelehrbar über und gleichgültig gegen diese Erkenntnis fällt die Außenpolitik einer Ampel-Regierung in Berlin in den 2020er Jahren wieder in alte deutsch-russische Konfliktmuster zurück. Seltsamerweise nicht einmal in direkter Auseinandersetzung mit Russland, sondern durch deutsche Parteinahme für einen Dritten. Was allerdings in der verantwortungslosesten Konsequenz abermals in einen echten Krieg zwischen Russland und Deutschland münden könnte.

Die gefährliche Mischung aus Angst und Kampfbereitschaft auf deutscher Seite hat eine zwischenstaatliche Normalität im Verhältnis zu Russland immer wieder untergraben. Dagegen musste schon Bismarck als Reichskanzler und Außenminister im Kaiserreich ankämpfen. Ihm, dem es als einzigem deutschen Kanzler je gelang, mit Russland selbstbewusst und realistisch umzugehen, nicht minder wachsam wie verständigungsfähig, dabei unbedingt kriegsverhütend, sah sich während seiner Amtszeit zunehmenden Angriffen auf seine Politik des Interessenausgleichs mit Russland ausgesetzt. In Presse und Reichstag. Der Rückversicherungsvertrag von 1887, der Russland für die deutsche Unterstützung seines Mittelmeerzugangs davon abhielt, ein für das Reich lebensbedrohliches Bündnis mit Frankreich einzugehen, musste geheim bleiben.

Nach der Entlassung des Gründungskanzlers (1890) kündigte die Reichsleitung die Verständigungspolitik mit Russland sofort auf. Das russische Begehren auf Vertragsverlängerung wurde abgewiesen und Moskau in die Arme von Paris getrieben. Kein Nachfolger Bismarcks erwies sich als willens und gegenüber öffentlichem Druck genügend widerstandsfähig, für die Sicherheit Deutschlands, Ausgleichsvereinbarungen mit Russland zu treffen, um es als potenziellen Gegner zu neutralisieren. Der Weg in den Zweifrontenweltkrieg von 1914 war damit vorgezeichnet.

Erst die Hypothek der Kriegsniederlage und des Versailler Vertrages veranlassten Deutschland, in der Weimarer Republik wieder auf Russland zuzugehen. Aus wirtschaftlicher Not geboren, normalisierte der Vertrag von Rapallo (1922) mit gegenseitigem Reparationsverzicht und Meistbegünstigung im Außenhandel nicht nur das Verhältnis der ehemaligen Kriegsgegner. Das sozialistische Russland kehrte als Vertragspartner auf die internationale Bühne zurück, während Deutschland nicht länger auf Gedeih und Verderb den vergeltungssüchtigen Westmächten ausgeliefert war. Bei denen hinterließ der italienische Badeort als Namensgeber des Vertrages freilich ein bis heute nachwirkendes Trauma: dass dem Westen die Zentralmacht Europas zugunsten eines deutsch-russischen Kondominiums auf dem Kontinent aus den Fängen gleiten könnte.

Diese bedenkenswerte Alternative machte Hitler-Deutschland mit dem Unternehmen Barbarossa für Jahrzehnte zunichte. Der rassenideologische Vernichtungskrieg gegen die UDSSR zertrümmerte alle deutsch-russischen Chancen, Osteuropa sicherheits- und wirtschaftspolitisch zu überwölben. Die Ausrottungs- und Ausbeutungsphantasien, Durchhalteparolen und Endsiegsuggestionen, denen sich Hitler in den Baracken des Führerhauptquartiers im ostpreußischen Rastenburg hingab, müssen hier nicht referiert werden. Wohl aber die schuldhafte Verantwortung des Diktators und aller, die ihm in den Untergang folgten, mit dem Überfall auf die Sowjetunion ein europäisches Zerstörungswerk ohnegleichen angerichtet zu haben.
Nicht allein, dass die staatliche Existenz und Einheit Deutschlands selbstmörderisch verspielt wurde. Europa insgesamt nahm bleibenden Schaden.

Die osteuropäischen Länder haben den Durchmarsch der Roten Armee, die sowjetische Besatzung und den jahrzehntelangen Verlust freiheitlicher Souveränität nie vergessen. Ehemalige Mitglieder des Warschauer-Pakts begegnen Russland bis heute mit tiefem Misstrauen, Polen und die baltischen Staaten nachgerade feindselig. Westeuropa hat seine verteidigungspolitische Abhängigkeit von den USA nach 1945 nie mehr abstreifen können, nach den Erweiterungsrunden der NATO sogar auf fast alle Teile des Kontinents ausgedehnt. Mit der nun zu besichtigenden Folge, dass sich Russland einer transatlantischen Hegemonie bis an die Ufer des Don entschlossen, ja militärisch widersetzt.

In diesem Zusammenhang Putin mit Hitler zu gleichzusetzen, ist eine polemische Entstellung des Sachverhalts. Die Singularität des Holocaust erlaubt keinen Vergleich. Der Nationalsozialismus wollte das Judentum auslöschen und die Weltherrschaft germanischer Herrenmenschen durchsetzen. Russland verlangt Respekt für regionale Sicherheitsbedürfnisse. Die und ihre Durchsetzung mit Waffengewalt kann man Putin bestreiten. Aber nicht mit einer unterstellten, völlig abwegigen Nähe zum NS-Diktator.

Nach der deutschen Wiedervereinigung hätte die historische Möglichkeit bestanden, dass Deutschland seine Beziehungen zu Russland so ebenbürtig gestaltet wie zu Frankreich und den USA. Aber die Gelegenheiten dazu wurden weder politisch noch vertraglich, geschweige denn sicherheitspolitisch genutzt. Die Kanzler des vereinten Deutschlands, Kohl und Schröder, mit Abstrichen auch Merkel, zeigten sich zwar gewillt, ein einigermaßen gedeihliches Verhältnis zu Russland aufzubauen. Mit Respekt für seinen Status und latenter Rücksicht auf seine Empfindlichkeiten. Aber von der Adenauer-Doktrin der Westbindung und des Souveränitätsverzichts für einen europäischen Staatenverbund hat sich bis heute keine Bundesregierung gelöst.

Als die alliierten Siegerrechte für ganz Deutschland mit dem 2+4-Vertrag erloschen, musste Russland hinnehmen, dass seine Streitkräfte nicht gemeinsam mit denen der Westmächte in Berlin, schon gar nicht mit denen in der alten Bundesrepublik verabschiedet wurden. Diese Demütigung ertrug der damalige russische Präsident Jelzin im August 1994 nur betrunken. Denn die Würfel für die deutsche Einheit waren 1990 in Moskau und im Kaukasus gefallen, während die vermeintlichen Schutzmächte Frankreich und Großbritannien zunächst erhebliche Vorbehalte angemeldet hatten.
Sichtbaren Ausdruck fand das Ende aller Rechte der ehemaligen Besatzungsmächte im Übrigen nur in der bis heute gültigen Bestimmung des 2+4-Vertrags, keine ausländischen NATO-Truppen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR zu stationieren.

Die Militärpräsenz der „Verbündeten“ Frankreich, Großbritannien und USA besteht in Westdeutschland hingegen fort. Mit konventionellen und nuklearen Sondervollmachten gerade des US-Präsidenten, amerikanischen Stationierungsfreiheiten und eigener Gerichtsbarkeit auf deutschem Boden. In Gänze der Kontrolle, Genehmigung und Gesetzgebung hierzulande entzogen. Nach wie vor ist die Bundesrepublik der größte US-amerikanische Militärstandort im Ausland. Den allianzpolitischen Graben, der Deutschland und Russland nach der Einheit weiter trennte, konnten zeitweilig florierende Wirtschaftsbeziehungen nicht überbrücken.

Heute ist es um das Verhältnis der beiden Länder noch schlechter bestellt als zu Zeiten der deutschen Teilung zwischen Bundesrepublik und Sowjetunion. Der Ukraine-Konflikt hat das beiderseitige Vertrauen zerstört, die Atmosphäre vergiftet, den Außenhandel zum Erliegen gebracht und alte Feindbilder wieder aufleben lassen. Bis zu der erschreckenden Parallele, dass Panzer aus deutscher Produktion wieder auf den Kesselschlachtfeldern des Zweiten Weltkriegs gegen Russland eingesetzt werden.

Dass eine überwiegend einseitige, zumindest tendenziöse Berichterstattung der reichweitenstärksten Medien, die Russland als Alleinschuldigen an dem Ukrainekrieg ausmachen, gerade in Westdeutschland sehr verfängt, verwundert nicht. Antikommunismus und Antisowjetismus waren von 1949 bis 1989 eine Geschäftsgrundlage der Bundesrepublik. Daran lässt sich anknüpfen, wenn es darum geht, die deutsche Öffentlichkeit wieder einmal auf einen harten Konfrontationskurs gegen Russland  einzuschwören. Verschärft durch eine Kampagnenpolitik, die komplexe politische Sachverhalte auf moralische Gewissheiten verkürzt.

Was treibt Regierung und Bundestag eigentlich dazu, die militärische Unterstützung der Ukraine stärker zu gewichten als auskömmliche Beziehungen mit Russland? Dass man durch Zugeständnisse an russische Sicherheitsbedürfnisse friedens- und handelspolitisch mehr Vorteile erlangen würde denn als Waffenbruder der Ukraine, liegt wohl auf der Hand. Sofern die Außenpolitik sachbezogen und ideologiefrei angelegt wäre. Ist sie in Deutschland bis auf weiteres aber nicht. Weil sich die Regierungspolitiker in Berlin einem unipolarem Weltmoralismus verschrieben haben, der sich den Realitäten und notwendigen Kompromissen in der internationalen Politik verschließt.

Wer die moralische Karte gegen Russland zieht, mit Feuer und Schwert die Bösen von den Guten trennen will, muss sich eines ohnehin fragen lassen: Steht die Moral derer, die auf die Wiederherstellung des status quo ante plus EU- und NATO-Mitgliedschaft Kiews im Ukraine-Krieg pochen, über dem Verantwortungsbewusstsein derjenigen, die das Armageddon eines Ost-West-Krieges verhindern wollen?

Bundeskanzler Scholz hat kategorisch erklärt: „Putin darf und wird nicht gewinnen.“ Was, wenn es anders kommt? An der Existenz Russlands und seiner atomar unterfütterten Großmachtrolle mit einem guten Draht nach Peking ist unabhängig vom Ausgang des Ukraine-Krieges doch gar nicht zu rütteln. Wie will Deutschland denn auf Dauer mit Russland und ihm gewogenen Kraftzentren der Weltpolitik zurechtkommen? In „western isolation“?

Von einem Siegfrieden ist die Ukraine weit entfernt. Der deutsche Kanzler müsste also darlegen, mit welchen Mitteln und zu welchem Preis er meint, Moskau in die Knie zwingen zu können. Ehrlicher noch: Welches Risiko für Deutschland ist Scholz bereit einzugehen, um eine Kriegsniederlage Putins herbeizuführen? Im Grunde nimmt sich ein solches Ansinnen so unkalkulierbar und gefahrvoll aus, dass es sich für einen verantwortlichen deutschen Politiker verbietet, die Parole eines zu besiegenden Russland auszugeben. Zumal selbst für den unwahrscheinlichen Fall eines vollständigen russischen Rückzugs aus der Ukraine alle Konfliktursachen bestehen blieben, ja die Saat für einen neuen Krieg gelegt würde.

Krieg ohne Sieger

Noch jeder Krieg und jede Kriegsbeteiligung ist mit Zielen entfesselt, geführt, ausgeweitet und gerechtfertigt worden, die sich mit den Ergebnissen nicht deckten. Dennoch hat diese Erfahrung Europa auch im 21. Jahrhundert nicht davor bewahrt, erneut Schauplatz für die Fortsetzung der Politik mit äußersten Mitteln zu sein. Nicht nur Russland ist dabei in das militärische Konfliktmuster zurückgefallen. Auch die westlichen Verbündeten der Ukraine setzen für die Durchsetzung ihrer Ziele und Prinzipien auf Waffengewalt. Eine Ermattung der Kriegsgegner, gar ein Sieg des einen über den anderen liegt in so weiter Ferne wie eine Verhandlungslösung. Ein Schweigen der Waffen ist überhaupt nicht in Sicht.

Moskau kann nicht aufhören, weil ein russischer Rückzug aus der Ukraine einem Diktatfrieden des Westens gleichkäme. Ihrerseits haben die NATO- und EU-Staaten viel zu tief in den Krieg eingegriffen und sich mit den Dogmen des ukrainischen Präsidialregimes gemein gemacht, um den russischen Vorwurf eines Stellvertreter-Krieges beiseitezuschieben. Die ganze Emotionalität, die westliche Regierungspolitiker und Medien in den Ukraine-Konflikt hineingetragen haben, ist in jeder Hinsicht „too much“, um Kiew zum Einlenken gegenüber Putin zu bewegen oder Russland mit substantiellen Verhandlungsangeboten an den Tisch zu holen. Jedes Abrücken von Selenskyj und Zugehen auf den Kreml würde als Einknicken angeprangert.

Stattdessen beherrscht der opfermissachtende Schicksalsglaube jeder Kriegspartei wieder einmal die Köpfe. Hüben wie drüben: „Wir müssen durchhalten bis zum Sieg.“ Und wie oft hat diese martialische, unbeugsame, den Willen über die Vernunft setzende Selbstbeschwörung getrogen und bis zum nicht mehr zu leugnenden Beweis des Gegenteils eine unermessliche Zahl unschuldiger Menschen das Leben gekostet.
Der Ukraine-Krieg kann unter diesen Umständen überhaupt nur drei Ausgänge nehmen. Und jedes dieser drei Szenarien wird sich ohne rasches Einlenken der Verantwortlichen, in keinem Fall mit militärischen Mitteln die Grundlage für einen dauerhaften Frieden legen zu können, in die Länge ziehen: 1. Die Ukraine vertreibt die russischen Truppen von ihrem bisherigen Territorium. 2. Russland hält größere Teile der Ostukraine dauerhaft besetzt und erzwingt den offiziellen Verzicht Kiews auf Mitgliedschaft in der NATO. 3. Es bleibt bei einem militärischen Patt mit Vereinbarungen über zerbrechliche Waffenstillstände.

Ein Sieg der Ukraine über die russischen Truppen bis zum vollständigen Rückzug ist am unwahrscheinlichsten. Ein knappes Fünftel der ukrainischen Gebietsfläche befindet sich ein Jahr nach Kriegsbeginn in russischer Hand. Das ist zwar deutlich weniger als der Kreml ursprünglich im Auge hatte. Bis hin zur Einnahme von Kiew und dem Sturz des ukrainischen Präsidenten. Jedoch an vorläufiger Kriegsbeute immer noch genug, Annexionen unumkehrbar zu machen, das Nachbarland zu schwächen und eine NATO-Aufnahme zu verhindern.

Die russische Kriegsführung hat sich noch nie durch operatives Geschick und Überraschungsmomente ausgezeichnet. Insofern fehlten für einen Blitzkrieg gegen die zudem in ihrer Widerstandsleistung unterschätzte Ukraine von vornherein die Voraussetzungen. Jedoch steht auch hinter allem, was im Westen über Schwächen, Verluste und Niederlagen der russischen Streitkräfte kolportiert und spekuliert wird, das Wunschdenken, eine Niederlage Russlands herbeizureden. Dasselbe gilt für alle Mutmaßungen über den Gesundheitszustand Putins und Zerfallserscheinungen in seinem Herrschaftssystem. Der Präsident, sein Außenminister Lawrow, Verteidigungsminister Schoigu und Ministerpräsident Mischustin sitzen fest im Sattel. In den Kriegszielen stimmen die politischen Führungsfiguren in Russland überein.

Militärisch zeigt sich Russland so wie man es aus dem Zweiten Weltkrieg kennt: schwerfällig und nicht sonderlich innovativ, aber robust, zäh und nach Rückschlägen lernfähig. Da es nicht gelungen ist, mit plumpen Vorstößen weite Teile der Ukraine zu überrennen und die ukrainischen Verteidiger rasch zu demoralisieren, setzt Moskau nun auf Zermürbung durch Artillerie und Luftangriffe, Durchbrüche an Schwachstellen der Abwehrfront und die kämpferische Überlegenheit von Eliteeinheiten. Ein vergleichbar großer Materialeinsatz, mit dem beispielsweise die USA in ihren Kriegen Verluste stets zu minimieren suchten, steht Russland nicht zu Gebote. Umso rücksichtloser wird im infanteristischen Bodenkampf mit dem Leben der Soldaten umgegangen und Schlagkraft aufgeboten.

Wenn der deutsche Heeresgeneral und Leiter des Lagezentrum Ukraine im Bundesministerium der Verteidigung, Freuding, im Dezember 2022 meinte, Russland sei „strategisch, operativ und moralisch gescheitert“, dann irrte er. Moskau hat in Kriegen einen langen Atem, eine gut geschmierte Kriegsmaschine, Truppenressourcen und ist in dieser Kombination gerade von deutscher Seite nicht zum ersten Mal unterschätzt worden. Dass Freuding auf dem Youtube-Kanal der Bundeswehr zudem „Vorstöße in die Tiefe des russischen Raumes“ skizziert, dürfte die Referenten seiner russischen Panzerkollegen hellhörig machen.

Hitlers Generalstabschef Halder meinte nach zwei Wochen Ostfeldzug im Sommer 1941, der Russe sei am Boden. Es kam bekanntlich anders. Deutsche Generäle der Gegenwart sollten daraus gelernt haben. Und täten - bei dem, was auf dem Spiel steht - gut daran, der Öffentlichkeit nicht mit herablassender Arroganz gegenüber Russland einen baldigen Triumph der Ukraine vorzugaukeln. Denn davon kann und sollte keine Rede sein.

Es bedürfte einer massiven, letztlich ausschlaggebenden Erhöhung der ukrainischen Kampfstärke am Boden und in der Luft, um Russland zu schlagen. Dazu ist die Ukraine aus eigener Kraft schon truppenmäßig nicht in der Lage. NATO-Staaten müssten also mit Boden- und Luftstreitkräften intervenieren, was den offenen Krieg des Westens mit Russland bedeutete. Einschließlich der Gefahr nuklearer Apokalypse. Unterhalb dieser Schwelle, die niemand ernsthaft zu überschreiten wagen kann, bleibt ukrainisches Territorium an Russland verloren. Militärisch und im Fall der angeschlossenen Republik Donezk und Lugansk auch politisch. Dass sich Russland mit konventionellen Mitteln bezwingen ließe und eine vollständige Niederlage in der Ukraine hinnähme, ohne sich dagegen mit dem Einsatz taktischer Atomwaffen zu stemmen, ist eine todesmutige Annahme. Mit einer Nuklearmacht sollte man nicht Vabanque spielen. Und selbst wenn Russland aus der Ukraine hinausgeworfen würde, jeder Kremlherrscher wird danach auf Revanche sinnen.

Angesichts dieser Lage ist eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine auf unabsehbare Zeit indiskutabel, ja selbst die EU-Mitgliedschaft ein Ding der Unmöglichkeit. Angelehnt an den Nordatlantikvertrag enthält der EU-Vertrag eine umfassende Beistandsklausel (Art. 42, Abs. 7), vor der keine Kommission und kein Mitgliedstaat der Union die Augen verschließen dürfen. „Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats schulden die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung …“ Zwar bleibt es eine Leerformel, solange die EU nicht die Strukturen einer Verteidigungsgemeinschaft hat, aber wer weiß denn, ob EU-Länder, die zugleich der NATO angehören, nicht in Zugzwang geraten, falls die Ukraine als Neumitglied in fortgesetzte oder neuerliche Kriegshandlungen mit Russland verwickelt wird. Kurzum: an der militärischen Tatsache, dass die Ukraine den Krieg gegen Russland ohne unvertretbare Risiken nicht gewinnen kann, laufen alle politischen Erwägungen auf, ihr mit Hilfe des Westens zum Sieg zu verhelfen.

In dieser verfahrenen Situation unauflösbarer Konfrontation mit Schuldanteilen auf beiden Seiten einen modus vivendi zu finden, der erst einmal die Waffen zur Ruhe bringt, ist alle Mühe wert. Dazu müssten die europäischen NATO-Staaten, allen voran Deutschland, politisch viel klüger, umsichtiger und aktiver agieren als sich ausschließlich und militärisch mit der Sache der Ukraine zu identifizieren. Mit, in und selbst nach Kriegen ist das Völkerrecht regelmäßig unter die Räder gekommen. Hätte es die Geltung, die ihm die Scharfmacher im Ukraine-Krieg nun gegen Russland verschaffen wollen, dann müssten unzählige Staaten einschließlich der USA und ihrer NATO-Verbündeten gleichfalls für vorangegangene Völkerrechtsverstöße auf der Anklagebank Platz nehmen. Solche Sündenfälle sind Bestandteile einer internationalen Politik, in der nicht Regeln und Werte, sondern Macht und Interessen dominieren.

Der russische Völkerrechtsbruch fällt – leider – nicht aus dem Rahmen. Es ist ebenso fruchtlos wie unglaubwürdig Russland, das den Krieg nicht ohne Gründe begonnen hat, unbedingter zur Rechenschaft zu ziehen als seinesgleichen, die sich unter Berufung auf die nationale Sicherheit ebenfalls über Völkerrechtsbarrieren hinweggesetzt haben. Und das auch weiterhin tun werden. Für den Kriegsausstieg beider Konfliktparteien muss anders angesetzt werden.

Der Westen, i.e. NATO bzw. EU, unterschätzt oder missachtet, wie viel Verhandlungsmasse ihm dafür zur Verfügung steht. Wenn man sich zumindest in Berlin und Paris, Washington ist sehr zweifelhaft, denn erst einmal aus der antirussischen und proukrainischen Fixierung löst. Warum werden weitere Waffenlieferungen an Kiew nicht mit der Auflage verbunden, dass der ukrainische Präsident Verhandlungsangebote vorlegt? Großzügige Wiederaufbauprogramme für die Ukraine müssten an die Bedingung geknüpft werden, dass Kiew Vorschläge für Waffenstillstände entwickelt, darüber mit Russland spricht und die Vereinbarungen dann auch einhält.

Moskau sollte vor dem NATO-Russland-Rat, der für Sicherheitsfragen in Europa ja extra eingerichtet wurde, Gelegenheit erhalten, seine Position darzulegen. Letztlich wird der Ukrainekonflikt von dem größeren Zerwürfnis zwischen der Allianz und Russland überlagert. Es ist keine Zumutung für die NATO-Vertreter, sich einmal anzuhören, was Moskau zu dem Krieg gegen den Nachbarn veranlasst hat, wie seine Friedensbedingungen lauten, welchen eigenen Beitrag Russland für die Sicherheit in Europa leisten will und was es dafür von der NATO erwartet.

Die Sabotage der Nord-Stream-Gaspipelines in der Ostsee ist in diesem Zusammenhang keine Nebensächlichkeit. Die vorsätzlichen, durch Sprengsätze ausgelösten Zerstörungen von drei der vier Stränge im September 2022 bedürfen restloser Aufklärung. Wenn der deutsche Generalbundesanwalt nach mehrmonatigen Ermittlungen eine Urheberschaft Russlands für „nicht belegbar“ erklärt, müssen die Ermittlungen durch unabhängige Sachverständige ohne politische Einflussnahme fortgesetzt werden. Vorwürfe des Enthüllungsjournalisten Hersh an die Adresse der USA sind nicht aus der Luft gegriffen. Bei einer Visite des deutschen Bundeskanzlers im Weißen Haus im Februar 2022 kurz vor Beginn des Ukrainekrieges bekräftigte US-Präsident Biden, den russischen Gastransfer durch die Ostsee nach Europa unter allen Umständen „stoppen“ zu wollen.

Nachdem Russland als Urheber der Anschläge ausscheidet, müssten die Nachforschungen in allen Richtungen ausgedehnt werden. Das geschieht nicht. Eine internationale Untersuchungskommission, die Russland unter Beteiligung eigener Experten vorgeschlagen hat, lehnen die involvierten Anrainerstaaten ab. Es drängt sich der Eindruck auf, der Öffentlichkeit und Russland erschütternde Wahrheiten vorzuenthalten. Sollten die USA ihre Hände nicht in Unschuld waschen können, wäre ein perfider Umgang mit dem Energiebedarf der Europäer belegt. Kämen kompromittierende Einzelheiten über die Mitwisserschaft, gar Mittäterschaft von Ostseestaaten wie Norwegen, Dänemark und Schweden ans Licht und würde die deutsche Regierung Auskunft geheimdienstliche Erkenntnisse dieser Art auf parlamentarische Nachfrage verweigern, stünde dem transatlantischen Bündnis die schwerste Legitimationskrise seit seiner Gründung bevor.

Schließlich wird gerade in Deutschland der Hebel viel zu wenig diskutiert, dem Kreml für Verhandlungsbereitschaft und Friedenwillen die Aufhebung bestimmter Sanktionen in Aussicht zu stellen. Um ein solches Geben und Nehmen wird man gar nicht herumkommen, soll Russland aus der Einbahnstraße des Krieges gelockt werden. Klare Ansagen anstelle bedingungsloser Solidarität wären seitens des Westens für die Ukraine geboten. Der Personenkult, den westliche Politiker um einen ukrainischen Präsidenten veranstalten, der mit Maximalforderungen vor allem sich selbst inszeniert und nach Waffen wie ein warlord verlangt, ist einer Verhandlungslösung nicht zuträglich. Die ukrainische Führung muss sich bewegen. Für ein sicherheitspolitisches agreement mit Russland. Und zwar abseits der überzogenen, gegen Moskau gerichteten Erwartung, dass die Ukraine von der NATO militärisch bewehrte Grenzgarantien erhält.

Wenn, dann wird die Ukraine ihren Bestand im Wesentlichen darauf gründen müssen, für einen Neutralitätsstatus russische Sicherheitszusagen zu erhalten. Mehr ist ehrlicherweise für Kiew nicht drin. Über zweierlei muss sich der Westen im klaren sein: eine Niederlage Russlands, unwahrscheinlich wie sie ist, würde die Ukraine zum stetigen Gefahrenherd für einen zweiten russischen Anlauf machen. Es wäre also schon mittelfristig nichts gewonnen. Muss die Ukraine zurückstecken, wird sie anhaltend auf Revision des Ergebnisses drängen. Will der Westen mehr als eine bloße Kriegspause erreichen, müssen die NATO-Staaten Kiew die bittere Pille verabreichen, für Rückeroberungsversuche keine militärische Unterstützung zu leisten.

Man möge sich erinnern: Der Antrieb deutscher, nicht zu vergessen auch amerikanischer Entspannungspolitiker während des Kalten Krieges war nicht, sich mit der deutschen und europäischen Teilung abzufinden. Und vorher die sowjetische Niederschlagung der Volksaufstände in der DDR, in Ungarn und der Tschechoslowakei, sogar den Mauerbau geschehen zu lassen, war keine Feigheit des Westens. Was die westliche Politik damals davon abhielt, in ein kriegerisches Kräftemessen mit der Sowjetunion einzutreten, war das Bewusstsein für die Folgen und die Einsicht in die Grenzen militärischen Handelns für politische Zwecke.

Die Ukraine wird mit einem mächtigen russischen Nachbarn leben müssen. Unversöhnlich und unvereinbar, wie sich die Politik der beiden Länder derzeit gegenübersteht, sind die Menschen wieder einmal die Leidtragenden. Ihr Los durch eine irgend mögliche Friedensregelung zu erleichtern, sollte das Bemühen des Westens sein. Nicht der sonderbar waffengläubige Kampf, gegen geopolitische Realitäten und unter Vertuschung völkerrechtlicher Doppelstandards einen absoluten Sieg über Russland erringen zu wollen.
                                                                         

© Wolfgang Klages 2023. Verwendung nur mit Genehmigung des Verfassers. 

 

                                                      

 

 

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